
Neue Ernährungsempfehlungen: Weniger Fleisch, mehr Pflanzen
Die neuen Ernährungsempfehlungen der AGES markieren einen Paradigmenwechsel: Statt tierischer Produkte sollen künftig pflanzliche Proteine stärker im Mittelpunkt stehen. Elisabeth Reiter, Präsidentin von ICC Austria und Ernährungsexpertin der AGES, betonte bei ihrer Eröffnung, dass Gesundheit und Umwelt im Fokus der Neuausrichtung stehen – ohne jedoch die kulturellen Essgewohnheiten aus den Augen zu verlieren. Mathematische Modelle zur Erstellung der neuen Ernährungspyramide zeigen: Der Konsum von Gemüse sollte deutlich steigen, während Fleisch, Wurstwaren sowie Milchprodukte zurückgehen. Hülsenfrüchte rücken damit als nachhaltige Eiweißquelle ins Zentrum.
Diese Empfehlungen sollen in Zukunft breiter kommuniziert werden – etwa durch Videos, Podcasts und zielgerichtete Kampagnen. Denn noch immer ist die Ernährung in Österreich zu fettreich, zu salzig und zu süß. Eine stärkere Sensibilisierung für pflanzenbasierte Alternativen könnte das Bewusstsein der Konsument:innen dauerhaft verändern.
Proteinwende im Ackerbau: Soja und Leguminosen im Aufwind
Benjamin Steiner vom Bundesministerium für Landwirtschaft präsentierte die bisherigen Ergebnisse der 2021 gestarteten österreichischen Eiweißstrategie. Ziel ist es, eine höhere Selbstversorgung mit pflanzlichem Eiweiß zu erreichen, Importe zu reduzieren und klimafreundliche Produktionsweisen zu fördern. Im Zentrum stehen Soja und andere eiweißreiche Hülsenfrüchte wie Ackerbohne, Linse oder Erbse. Vier Arbeitsgruppen widmen sich dazu Fragen der Umweltwirkung, Wirtschaftlichkeit, Ernährung und Forschung.
2024 werden in Österreich bereits 90.000 Hektar Soja angebaut – gefolgt von rund 85.000 Hektar Leguminosen. Bemerkenswert: Etwa 40 % der heimischen Sojaernte wird inzwischen für die menschliche Ernährung verwendet, ein internationaler Spitzenwert im Vergleich zu nur 19 % weltweit. Die EU-weite Ausweitung der Eiweißstrategie gilt als logischer nächster Schritt.
Bodenfruchtbarkeit & Klimaanpassung: Agronomische Vorteile von Leguminosen
Josef Wanzenböck von der Landwirtschaftskammer Niederösterreich machte deutlich: Der Anbau von Leguminosen ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch agrarökonomisch relevant. Hülsenfrüchte reichern den Boden durch ihre Symbiose mit Knöllchenbakterien mit Stickstoff an – ein natürlicher Ersatz für Kunstdünger, der angesichts steigender Preise ökonomisch attraktiv wird. Darüber hinaus erschließen tiefwurzelnde Pflanzen wie Linsen oder Ackerbohnen Nährstoffe aus tieferen Bodenschichten, verbessern die Bodenstruktur und reduzieren Verdunstung – ein wichtiger Aspekt bei zunehmender Hitze.
Allerdings braucht es agronomisches Fingerspitzengefühl: Um bodenbürtige Krankheiten und Schädlinge zu vermeiden, ist eine Fruchtfolge von vier bis sechs Jahren unerlässlich.
Wirtschaftliche Perspektiven: Marktpotenzial von heimischem Soja
Felix Gohn von der Fritz Mauthner Handelsgesellschaft stellte die Preisstruktur im Sojamarkt vor: Während gentechnisch veränderte Ware im internationalen Handel bei rund 400 Euro pro Tonne liegt, erzielen gentechnikfreie Bio-Sojabohnen Preise von über 1.000 Euro. Die Sojabohne überzeugt nicht nur mit ihrem hohen Protein- und Fettgehalt, sondern auch mit ihrer Hitzetoleranz – ein klarer Standortvorteil angesichts des Klimawandels.
Gohn plädierte für eine vollständige heimische Wertschöpfungskette: Vom Anbau über Transport und Lagerung bis zur Verarbeitung soll der gesamte Prozess in Österreich stattfinden – inklusive Entwicklung hitzeresistenter Sorten und besserer Standfestigkeit.

Backmittel, Tempeh, Tofu: Verarbeitungsformen mit Zukunft
Eva Pfahnl, Geschäftsführerin der Pfahnl Backmittel GmbH, sieht großes Potenzial für Leguminosen in der Bäckerei. Sie verbessern die Wasseraufnahmefähigkeit von Teigen, erhöhen deren Proteingehalt und dienen in veganen Rezepturen als Ei-Ersatz. Je nach Verarbeitung – Mehl, Konzentrat oder Isolat – lassen sich unterschiedliche funktionelle Eigenschaften wie Emulgierfähigkeit oder Schaumbildung erzielen. Geschmacklich bringen Leguminosen zudem nussige Noten in Brot und Gebäck ein.
Auch in der fleischfreien Küche gewinnen Hülsenfrüchte an Bedeutung: Hans Weichhart von der Eibensteiner GmbH präsentierte „Zack die Bohne“ – eine Tempehmarke, die Sojabohnen fermentiert und in Bananenblättern reift. Das Produkt überzeugt auch Fleischliebhaber:innen durch seine Konsistenz und Würzbarkeit.
Lukas Weiss von der Sojarei Vollwertkost GmbH zeigte die Tofuproduktion aus österreichischem Bio-Soja. Die Standardisierung der Prozesse ist essenziell, da Rohwaren große natürliche Schwankungen aufweisen können. Mit eigener Anlagentechnik ist die Sojarei seit den 1980ern Pionier im Segment.
Pflanzliches Fleisch: Extrusionstechnologie im Detail
Im Bereich der texturierten Fleischalternativen präsentierten Roland Pötschacher (BOKU Core Facility) und Harald Frühwirth (VeggieMeat GmbH) neueste Entwicklungen. Bei der Extrusion werden pflanzliche Proteine unter Hitze und Druck in fleischähnliche Fasern verwandelt. Pötschacher erläuterte die Bedeutung gezielter Quervernetzung von Proteinen, während Frühwirth Einblick in die komplexe Produktentwicklung gab – mit bis zu zehn Versuchen täglich, um Textur, Geschmack und Farbe optimal aufeinander abzustimmen.
Die Kombination von Trocken- und Nass-Extrusion, 3D-Druck und Hochdruckverfahren eröffnet dabei neue Perspektiven für individuell angepasste, nährstoffreiche Lebensmittelprodukte.
Leguminosen als Baustein der Ernährung der Zukunft
Zum Abschluss betonte Elisabeth Reiter die Relevanz der Themen für die gesamte Lebensmittelkette: Von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zur Ernährungsbildung. Die Kombination von Getreide und Hülsenfrüchten bietet nicht nur ernährungsphysiologische Vorteile, sondern auch wirtschaftliches Potenzial, etwa durch neue Produktlinien, ESG-Kriterien und CO₂-Reduktionsziele. Der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, ob Forschung, Praxis und Politik gemeinsame Strategien entwickeln – und Konsument:innen von den Vorteilen pflanzenbasierter Ernährung überzeugt werden.