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Das älteste gesäuerte Brot der Welt: Ein 5000 Jahre alter Fund in Küllüoba revolutioniert unser Verständnis der Backgeschichte

Ein verkohlter Fladen, kaum größer als eine Männerhand, lässt die Fachwelt staunen: In der türkischen Siedlung Küllüoba entdeckten Archäologen das bislang älteste bekannte gesäuerte und gebackene Brot der Welt. Der 5000 Jahre alte Fund gibt nicht nur Aufschluss über die Technik der Bronzezeit, sondern inspiriert auch moderne Bäcker – und könnte die Sicht auf Brot als Kulturgut verändern.

Ein archäologisches Meisterstück mit kulinarischem Echo

In der Bronzezeit-Siedlung Küllüoba in der türkischen Provinz Eskişehir stießen Archäologen unter der Schwelle eines bronzezeitlichen Wohnhauses auf einen verkohlten Brotlaib – und mit ihm auf ein Stück Menschheitsgeschichte. Der Fladen mit zwölf Zentimetern Durchmesser und 2,5 Zentimetern Dicke blieb durch Verkohlung und Vergrabung perfekt konserviert und ist laut Radiokarbondatierung rund 5000 Jahre alt. Damit gilt er als das älteste bekannte gesäuerte und gebackene Brot in vollständig erhaltener Form weltweit.

Der unscheinbare Klumpen, der heute im Archäologischen Museum von Eskişehir zu bestaunen ist, birgt eine Fülle an Informationen über Ernährung, Landwirtschaft und Kulturtechniken der Bronzezeit. Anders als bisherige Funde – etwa 14.000 Jahre alte ungesäuerte Teigreste aus Jordanien – zeigt der Küllüoba-Laib gezielte Fermentation und handwerkliche Verarbeitung. Seine Zutaten: grob gemahlenes Emmer-Mehl, Linsensamen und eine bisher nicht identifizierte fermentierende Pflanzenkomponente. Eine Kombination, die nicht nur funktionell, sondern auch nahrhaft und bewusst zusammengestellt war.


Ein Fenster in die Welt der Frühbronzezeit

Die Siedlung Küllüoba liegt im Bezirk Seyitgazi in Zentralanatolien, einem Schnittpunkt alter Handels- und Kulturwege. Seit 1996 wird dort unter der Leitung von Prof. Dr. Murat Türkteki systematisch gegraben. Neben Steinkistengräbern, Keramiken und Tierknochen ragt der Brotfund als ein besonders greifbares Zeugnis der Alltagskultur heraus. Die Entdeckung unter einer Türschwelle lässt Raum für Deutungen: War der Laib eine rituelle Opfergabe, ein Schutzsymbol oder einfach ein verlorener Teil der Vorräte?

Die Ausgrabungsbedingungen – trockenes Klima, stabile Bodenschichten – begünstigten die Konservierung des Brots. Radiokarbonanalysen bestätigen das Alter der Brotreste und der sie umgebenden Architektur auf etwa 3000 v. Chr., also in die Frühbronzezeit. Der Fund belegt, dass bereits damals fundierte Kenntnisse in Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Fermentation bestanden – ein Hinweis auf eine hochentwickelte Alltagskultur.


Zusammensetzung und Technik: Bronzezeitliches Know-how

Besonders bemerkenswert ist die Zusammensetzung des Brots. Emmer – ein Vorfahre des heutigen Weizens – galt als zähes, robustes Getreide, das aufwändig verarbeitet werden musste. Dass es in dieser Epoche gezielt verwendet wurde, zeigt, dass die Menschen in Küllüoba nicht nur über Ackerbau- und Mahltechniken verfügten, sondern auch um die Vorteile des Getreides wussten: hoher Nährstoffgehalt, lange Haltbarkeit und regionale Verfügbarkeit.

Linsen ergänzten das Rezept um wichtige Proteine, während die fermentierende Pflanze – noch nicht abschließend identifiziert – als natürliches Gärmittel diente. In ihrer Kombination ergeben die Zutaten ein Brot, das reich an Ballaststoffen, Vitaminen und pflanzlichem Eiweiß war – ein echtes „Functional Food“ der Frühgeschichte. Der Teig wurde bei moderaten Temperaturen von etwa 150 °C gebacken – wohl in Lehmöfen oder über glühenden Steinen.


Vom Museum auf den Markt: Brotgeschichte zum Anbeißen

Seit Ende Mai ist der verkohlte Fladen nicht nur im Museum ausgestellt, sondern wurde von der lokalen Bäckerei „Halk Ekmek“ in einer experimentellen Rezeptur wiederbelebt. Rund 300 dieser „Küllüoba-Brote“ werden täglich frisch gebacken und zum symbolischen Preis von 50 Türkischen Lira verkauft – das entspricht etwa 1,12 Euro. Das Interesse ist riesig: Die erste Charge war innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

Die Bäcker orientieren sich an der wissenschaftlich rekonstruierten Rezeptur: Emmer-Mehl, Linsen, Fermentationsprozess, backen bei niedriger Temperatur. Das Resultat: ein rundes, goldbraunes Fladenbrot mit krosser Kruste und weichem Kern, das laut ersten Verkostern leicht nussig und erdig schmeckt. Auch moderne Ernährungsexperten zeigen sich begeistert – nicht zuletzt wegen der hohen Nährstoffdichte und der naturbelassenen Zutaten.


Ein Vorbild für heutige Backkultur?

Die Rückbesinnung auf Urgetreide, Fermentation und regionale Zutaten ist kein neuer Trend – doch der Fund aus Küllüoba verleiht ihm historische Tiefe. Während die industrielle Lebensmittelproduktion zunehmend in die Kritik gerät, könnte der 5000 Jahre alte Fladen als Symbol für Nachhaltigkeit, Handwerk und Kulturgeschichte dienen. Er macht deutlich, dass Brot schon immer mehr war als bloße Nahrung: Es war rituelles Objekt, soziales Bindeglied und technisches Meisterwerk.

Für handwerkliche Bäcker in Europa und darüber hinaus eröffnet sich hier ein spannendes Feld: Eine authentische Rekonstruktion des Bronzezeit-Brots – mit Emmer aus regionalem Anbau, fermentiert mit wilden Hefen oder Sauerteig, verfeinert mit Linsen oder Hülsenfrüchten – könnte sowohl ernährungsbewusste Kunden als auch historisch interessierte Brotliebhaber begeistern.


Brot als kulturelles Gedächtnis

Der Brotlaib aus Küllüoba ist weit mehr als ein museales Objekt – er erzählt eine Geschichte von technologischem Können, kultureller Tiefe und kulinarischem Bewusstsein. Er zeigt, dass schon vor 5000 Jahren mit Bedacht, Wissen und Kreativität gebacken wurde. Eine Erkenntnis, die nicht nur Archäologen, sondern auch moderne Bäcker inspiriert.

Ob als Exponat, als Neuinterpretation im Brotbuffet oder als Impuls für die heutige Handwerkskunst: Das älteste gesäuerte Brot der Welt liefert Denkanstöße, wie eng Ernährung, Kultur und Geschichte miteinander verwoben sind – und wie wertvoll es sein kann, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

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