Farina bóna – das Mehl, das ein ganzes Tal berühmt machte

Man erreicht das „Tal der Mühlen“ nicht ohne Mühen: 300 Kurven machen das Onsernone im Tessin zum angeblich „wildesten“ Tal der Schweiz. Hier hat sich fernab der Metropolen eine Spezialität erhalten, weil ein einzelner Müller dafür kämpfte: „Farina bóna“, ein Mehl aus gerösteten Maiskörnern.

Es mag ein Zufall sein, dass der allen Niki-Lauda-Fans bekannte Ferrari-Fahrer Gianclaudio „Clay“ Regazzoni aus dem Tessin stammte. Doch wer die 28 Kilometer von Locarno nach Spruga zurücklegt, versteht, dass man hier Autofahren lernt. Vor allem, wenn man der Lenker des „Postautos“ ist, wie die Schweizer ihre gelben Linienbusse nennen. Denn das Onsernone ist mehr als eine Serpentinen-Strecke mit heftiger Steigung. 300 Kurven warten auf alle, die sich gen Vergeletto begeben, von wo es nicht mehr weit ist bis zum Talschluss, hinter dem bereits Italien beginnt. Verschärfend für Buslenker und Touristen ist aber eine Eigenheit der Tessiner Bevölkerung: Mangels Parkplätzen stellen die Einheimischen ihre Autos entlang der Bergstraße ab. Die wird dadurch einspurig und noch gefährlicher. Denn schon ein paar Meter weiter unten in der Schlucht rauscht der Wildbach Bordione.

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Der Kaffeeröster macht’s möglich

Doch irgendwann endet die schweißtreibende Fahrt und man erreicht den „Mühlen-Park“ von Vergeletto. Der Name klingt eindrucksvoll, doch von den vielen, allesamt von Wildbächen angetriebenen Mühlen sind nur noch zwei aktiv. Ilario Garbani Marcantini heißt der menschliche Motor hinter dieser Zeitreise, er betreibt eine dieser ausschließlich mechanischen Mühlen. Er strahlt, wenn er über seine „mulino“ spricht. Gerne führt er auch durch die Mühle, zuvor muss man mit ihm aber über die Straße in seinen Röstraum, wo der einzige elektrische Schritt in der Entstehungsgeschichte des „guten Mehls“ erfolgt. So nennt sich die regionale Spezialität, wenn man sie aus dem klangvollen Italienischen ins Deutsche übersetzt. Die Entstehung der „farina bóna“ erinnert im ersten Schritt an die Popcorn-Herstellung. Signore Ilario wirft dafür seinen Röster an. Den gibt es eigentlich nicht, denn für diese Art der Mehlerzeugung erzeugt niemand Maschinen. Ergo stammt das Gerät, eine Rüttelpfanne, aus einer anderen Handwerkssparte: „Diese Maschine wurde für das Rösten von Kaffee entworfen; nach einigen Adaptierungen ist sie aber perfekt für uns.“ Man merkt dem Tessiner an, dass er diese wichtige Erleichterung ein wenig für Ketzerei hält. Denn traditionell wurde das Getreide in den Bauernhäusern auf der Herdplatte geröstet. Anfangs war es der robuste Roggen, den die Bewohner des Onsernone anrösteten, um ihn dann zu vermahlen.

Die zweite Wahl – der Mais! – blieb da

Der Roggen war im kalten und feuchten Tal aber immer recht schwankend im Ertrag. Das Prinzip des gerösteten Mehls ließ sich aber auch auf den lokal nicht erhältlichen Mais übertragen. Dicker als herkömmliches Mehl, vor allem aber voller würziger Noten und Röstgeschmack war die danach in den alten Mühlen verarbeitete „farina bóna“. Damit sind Brote zwar nur mit gemischten Mehlen möglich, doch diese wollten die genügsamen Bauern gar nicht: „Auf den Höfen wurde das Mehl meistens einfach mit etwas Milch – warmer oder kalter – gemischt. Das war dann eine ganze Mahlzeit.“ Besser als Polenta sei dieses Nahrungsmittel, so Garbani Marcantini. Dank seiner unermüdlichen Bemühungen wurde es auch im Tessin wiederentdeckt. Denn die Handarbeit im wildromantischen Onsernone hat auch in der Schweiz einen gewissen Exotik-Faktor. Um das Mehl abzupacken, lässt der Müller es mittels Handschieber vom Mühlstein in den Sammelbehälter rieseln. Es ist ein eigenartiges, ein archaisches Bild, das sich im Gegenlicht der Sonne formt, während man nur den Bach rauschen hört, der die Mühle antreibt: Meditativ wie ein feiner Strahl aus goldenen Bröseln rinnt das rare Mehl im Gegenlicht der Sonne in den Holzzuber. Was aber machen die Städter damit? Vor allem wird damit gebacken, wobei die klare Empfehlung des Retters der Mühlen lautet, „immer auch ein bisschen Weizenmehl dazuzugeben“.

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Bauern-Mehl für die Sterne-Küche

Kekse mit „farina bóna“ etwa sind eine Spezialität, die man im winzigen Dorfladen bei der Mühle erwerben kann. Sie schmecken knackig wie Kokosbusserl, aber mit einem zarten Popcorn-Touch. Aber auch ein Bier mit der Mais-Rarität gibt es bereits im Tessin. Besonders spannend wird es, wenn die alte Bauern-Nahrung im noblen „La Rinacente“ in Locarno aufgetischt wird. Dor beschließt eine Eiscreme auf „farina bóna“- Basis das große Menü. Und woher der Wohlgeschmack dieses Desserts kommt, wissen nur jene, die schon einmal die 300 Kurven zu Ilarios Mühle absolviert haben. Hin und zurück, ins Tal der Mühlen.

Info: www.farinabona.ch

Autor: Roland Graf

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