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Ein Taler für den Hofzuckerbäcker „ L. HEINER” wird 185 Jahre alt

Der Name ist untrennbar mit dem „süßen“ Wien verbunden: „k.u.k. Hofzuckerbäckerei L. Heiner“. Mit 135 Mitarbeitern zählt der Familienbetrieb auch zu den Größen der Branche. Der Aufwand in der Produktion wird bewusst hochgehalten – wie der Besuch in Simmering zum 185-Jahr-Jubiläum zeigt.

Süße Gedanken sind nicht das Erste, was einem in den Sinn kommt: „Zentral-Friedhof Tor 4“ heißt die Bim-Haltestelle. Überquert man dann aber die Simmeringer Hauptstraße, bekommt man sofort unweigerlich Appetit. Haselnussduft und Vanille liegen knapp vor der Wiener Stadtgrenze in der Luft. „Am intensivsten ist es vor Weihnachten“, sagt dazu Michael Stuller. Er muss es wissen: In sechster Generation führt der 46-Jährige mit seiner Frau Verena die „k.u.k. Hofzuckerbäckerei L. Heiner“. Auch wenn Wiener wie Touristen die Konditorei vornehmlich mit ihren Standorten in der Wollzeile und der Kärntner Straße verbinden, entsteht das gesamte Sortiment hier in Simmering. Die Übersiedlung der Backstube aus dem Stammhaus in der Wollzeile an den Rand der Stadt stellt aber nur eine der wenigen Veränderungen in der 1840 begonnenen Geschichte dar.

Süßes Erbe der Monarchie

Heute ist „L. Heiner“ die letzte der einstigen Hofzuckerbäckereien Wiens, die sich noch im Besitz der Ursprungsfamilie befindet. Gründer Andreas Rabel ist ab 1840 als Bäcker nachweisbar und übersiedelte 1852 in die Wollzeile, historisch mit der „Brotstupfer-Nummer 20“ verbunden. Der Namenswechsel auf Heiner erfolgte durch die Ehe seiner Tochter – mit Valentin Heiner kam 1899 auch der Titel eines Königlich Bayerischen Hoflieferanten in die Backstube. Sein Sohn Ludwig, dem sich bis heute das „L.“ im Firmennamen verdankt, bekam dann auch noch den „k.u.k. Hoflieferanten“ verliehen. Seine Witwe und Sohn Walther Stuller sorgten nicht nur für Kontinuität, sondern auch Expansion – 1949 kam die Filiale in der Kärntner Straße hinzu, 1964 der Standort in Perchtoldsdorf. Mit der Übernahme der Filiale in Stockerau (2007) und der Filiale in Wien-Hernals (2013) ist das „Heiner“-Netz fast komplett.
Denn da ist ja auch noch der Backstubenverkauf in der Simmeringer Hauptstraße. „Am Wochenende sind wir damit so etwas wie der Nachversorger“, schildert Stuller den großen Andrang. Denn zu den Köstlichkeiten aus der hinter dem Shop angesiedelten Produktion kommen auch Brot und Gebäck befreundeter Hersteller wie „Der Mann“ und „Schmidl“ – falls jemand die original „Wachauer Laberl“ in Wien sucht.

Seit 1949 gibt es den L. Heiner auch in der Kärntenerstraße. © L. Heiner
Seit 1949 gibt es den L. Heiner auch in der Kärntenerstraße. © L. Heiner

Käsegebäck und Kokoskuppeln

Dr. Paulus Stuller, bekannt als langjähriger Innungsmeister der Konditoren und erster Bundesinnungsmeister des Lebensmittelgewerbes, war der Erhalt von Standorten wie der früheren Konditorei Klement in Hernals ein Anliegen. Statt wilder Expansion erfolgten unter seiner Ägide daher Übernahmen von Betrieben, „die nicht mehr fortgeführt werden konnten oder wollten“. Interessanterweise ergaben sich durch einen Zufall zwei Typen von Filialen. Die eher salonartige Atmosphäre von „Heiner“ in der City wird durch die ebenfalls fast stilgleichen, aber deutlich moderneren Standorte Stockerau und Hernals ergänzt. „Das war zufällig der gleiche Einrichter, nämlich der Welser Ladenbauer ‚Schweitzer Ladenbau‘, der sehr viele Konditoreien ausgestattet hat.“ Dass die Filialen ihre Eigenheiten nicht nur bei der Optik behalten haben, ist Teil des Konzepts. „Am Land sind wir mehr das Kaffeehaus, wo man Zeitung liest und etwas trinkt. Da ist der soziale Faktor nicht zu unterschätzen“, analysiert Michael Stuller. „In der Stadt gibt es viel mehr Mitbewerb beim Kaffee, da werden wir als Konditorei wahrgenommen.“ Selbst beim Angebot, das aus der Zentrale Simmering abgerufen wird, ist jede Filiale ein wenig anders: „Die Wollzeile ist nicht sehr ‚touristisch‘. Obwohl sie unser Stammhaus ist, bleibt sie eher ein Geheimtipp der Wiener.“ Auch die Saison-Ware, viel davon aus Marzipan, wird gerne von dort bezogen. „Das Beerenomelette wieder wäre ein klassisches ‚Kärntner-Straßen-Produkt‘ – das wird von arabischen Gästen mittlerweile sogar eingefordert.

Die nostalgischen Inneneinrichtungen des der Welser Ladenbauers ‚Schweitzer Ladenbau‘ werden geschätzt und gepflegt. © L. Heiner
Die nostalgischen Inneneinrichtungen des der Welser Ladenbauers ‚Schweitzer Ladenbau‘ werden geschätzt und gepflegt. © L. Heiner

Im Unterschied zu vielen Bäckereien sei man deutlich weniger „maschinenlastig“, formuliert es Konditormeister Stuller. Was das genau bedeutet, zeigt sich beim Gang durch die Produktionsräume. Fingernagelgroße Marzipan-Dekore entstehen in einem Raum, parallel werden Äpfel geschält, Käse-Bäckerei mit Nüssen garniert und Topfengolatschen eingeschlagen. Produktionsleiter Patrick Harrer pendelt zwischen dem Schoko-Airbrush der Orangen-Torte und einer Kleinserie von Kokoskuppeln. Ja, auch die entstehen – gerade mal 15 Stück in einer Partie! – händisch bei der Hofzuckerbäckerei. Verführerisch duften dazu die eben aus dem Ofen gezogenen „Indianer“. Ihnen folgt dann der Apfel-Streusel-Kuchen. Auch sämtliche Torten werden noch als Torten – und nicht in Form geschnitten – gebacken.

Kein Zukauf bei Michael Stuller: Auch Marzipandekore fertigt man selbst. © Roland Graf
Kein Zukauf bei Michael Stuller: Auch Marzipandekore fertigt man selbst. © Roland Graf

Maximale Eigenproduktion

„Zugekauft werden vielleicht ein paar Dekore, etwa Schokolade-Schildchen“, ist man stolz auf die Vielfalt. Sie erstreckt sich von Petits Fours oder Wiener Mehlspeisen wie der Esterházy-Torte bis zur kalten Küche. Brötchen, Schinkenrollen oder Mayonnaise-Ei gehören zu den beliebten Angeboten in den sechs Cafés. Und dann sind da noch Spezialitäten wie der Mokka-Krapfen, das Grillage-Schiffchen oder die Marzipankartoffel. Eine betagte Teig-Stanze von Kenwood steht am Beginn der Schiffchen, die trotz der filigranen Form aufwendig zu machen sind. „Auch die gefüllten Marzipankrapfen kennen viele deutsche Gäste nicht, das ist eine Spezialität in dieser Größe und Herstellung.“
Die Kundenstruktur habe sich im Übergang von der fünften zur sechsten Konditoren-Generation jedenfalls nicht sehr verändert – „man hat schon vor 30 Jahren gesagt, das Publikum stirbt aus“. Der klassische Kunde ist zwar „schon 50 bis 60 Jahre und darüber“, aber das sei auch eine Kundschaft, die Zeit hat und das Angebot schätzt. „Mütter kommen mit ihren Kinderwägen oder Omas mit Enkeln“, sieht man sich in Sachen süßem Nachwuchs gewappnet. Die Zukunftspläne der ältesten Hofzuckerbäckerei in Familienhand sind daher bescheiden. Und kreisen erneut um Produktkreationen. Und eine neue Schneidemaschine soll demnächst angekauft werden. „Wenn man eine manuelle Tätigkeit mechanisch besser und präziser machen kann, dann tun wir’s auch.“ Und irgendwann soll es auch ein „bayerisches“ Produkt geben, um den zweifachen Hoflieferanten zu unterstreichen. Doch für 2025 hatte beim zweifachen Vater die Kreation des „K.u.k. Talers“ zum Jubiläum Priorität.

Trends dürfen andere bedienen

Sorgen bereiten dem Verfechter des Handwerks allenfalls die steigenden Rohstoffpreise: „Nüsse sind immer ein Thema, aber auch Erdbeeren sind sehr schwankend im Preis.“ Dass es mitunter auch Knappheit bei der Butter geben kann, ärgert den bekennenden Verwender österreichischer Rohstoffe besonders. „Da haben wir ja eigentlich eine Vollversorgung.“ Stichwort: Milchprodukte. Vegane, glutenfreie und laktosefreie Angebote versucht man auch in Simmering abzudecken. Neue Produkte lassen sich in den sechs Filialen schnell testen, etwa die zuckerfreie Marzipan-Ente. „Das probieren wir für einen Monat aus und entscheiden dann.“ Einen gänzlichen Verzicht auf Eier, Butter oder Milchprodukte kann man sich als Bewahrer der klassischen Mehlspeisen aber nicht vorstellen. Als veganes Angebot hat man eine Birnen-Mohn-Schnitte kreiert, „bei der man den Verzicht auf eine Zutat nicht merkt“.
Die Menschen hinter den Köstlichkeiten sind nach Möglichkeit Spezialisten. 40 Angestellte in der Backstube widerlegen den Trend, in der Produktion in Gruppen zu arbeiten, „in denen es zwei, drei ‚Wissende‘ und dazu angelernte Kräfte gibt“. Inwieweit man diesen handwerklichen Standard aufrechterhalten kann, sei eine spannende Frage. „Der klassische Konditor wollte seinen Posten haben und das bis ans Lebensende machen. Das verändert sich schon bei den Jungen.“

Die Sorgen eines Konditors

Bei „Heiner“ werden aber auch noch die Weichseln selbst eingelegt, lediglich vom Einkochen der eigenen Marillenmarmelade ist man mittlerweile abgerückt. „Daher muss auch ein Nikolaus-Dessert mit ausgestochenem Dekor und Glasuren seinen Preis haben.“ Der Nikolaus ist bei unserem Besuch bereits eingezogen in der Backstube und dem Schoko-Raum, in dem die Kühlung erfolgt. Auch Windbäckereien füllen bereits zahlreich die Trays – bis hin zum handballgroßen Glücksschwein für Silvester. „Das machen in der Größe nur wenige“, liegt die Kunst auch in der langen und langsamen Trocknung. Dass vor Weihnachten dennoch Kunden kommen, um extra die „frischen Windringerl“ zu holen, führt Stuller zu einer fast philosophischen Frage rund um das Handwerk: Wie schafft man es, dem Kunden zu vermitteln, wie aufwendig das vermeintlich einfache Produkt tatsächlich ist?
Nicht alles sei über Social Media erklärbar, auch Backkurse erreichen nur eine Minderheit. Und doch sind etwa für den Marzipankartoffel die spezielle Biskuit- Masse, Pariser Creme, Marzipan und Kakao vorzubereiten. „Die Konditorei besteht halt aus so vielen verschiedenen Produkten, die wieder aus vielen Bestandteilen zusammengesetzt sind.“

Zum Katholikentag 1933 kreierte Ludwig Heiner die Weltberühmte Kardinalschnitte. Flaumig und in den Farben des Vatikan.© L. Heiner
Zum Katholikentag 1933 kreierte Ludwig Heiner die Weltberühmte Kardinalschnitte. Flaumig und in den Farben des Vatikan.© L. Heiner

Das Volumen der „Kardinal“

Viel Aufwand und eine Prise Geheimnis stehen auch hinter dem bekanntesten Produkt der Konditorei Heiner. 1933 wurde die Original Kardinalschnitte von Ludwig Heiner kreiert. Nicht viele Kunden werden den Anlass kennen, der im Österreichischen Katholikentag lag und daher auch die Wappenfarben des Vatikans in eine süße Form brachte. Gelb und Weiß wurden als dottersattes Biskuit und weißer Eischnee zu einer der beliebtesten Schnitten Österreichs. „Das Volumen ist entscheidend“, erteilt Michael Stuller der mit drei Lagen gefertigten Version eine Abfuhr. Richtig hoch muss der Eisschnee gebacken sein, dann gibt es das Okay. Ebenfalls Teil der reinen Kardinalschnitten-Lehre nach Ludwig Heiner ist die Verwendung von Marillenmarmelade. „Die muss sein“, so der Firmenchef, den es bei der Erwähnung von Ribiseln als Alternative sichtlich schüttelt. An Variationen mangelt es in der Fertigung gegenüber dem Zentralfriedhof aber nicht. Erdbeer- oder Kaffeecreme kommen ebenso zum Einsatz wie die Marillenmarmelade des Originals. Alle drei Variationen gibt es zum 185-Jahr-Jubiläum zum Sonderpreis, zusammen mit einer Melange. Doch auch im Jubeljahr gilt für Stuller: „Man muss einen vernünftigen Kaffee haben, aber wir definieren uns über die Mehlspeisen.“

Geschichte zum Naschen: „K.u.k. Taler“ zum Jubiläum
Nougatwaffelcreme und Bitterschokolade sind die wesentlichen Bestandteile der Neuheit, die man in Wien-Simmering zum 185-Jahr-Jubiläum gefertigt hat. Für Michael Stuller sollte es eine „essbare Erzählung“ der Firmengeschichte sein.
Insofern erinnert der „K.u.k. Taler“ an Herausforderungen und harte Zeiten (die Zartbitterschokoladen-Hülle) ebenso wie Glücksmomente (die Waffelcreme). „Gleichzeitig steht die leichte Knusprigkeit der Waffel für die Innovationskraft unseres Unternehmens, das auch in harten Zeiten den nötigen Biss behielt, um sich anzupassen“, so Stuller zur Symbolik. Doch auch ohne dieses Wissen liefert der „K.u.k. Taler“ vor allem eines: Genuss.

Autor: Roland Graf

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